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Auf dem Weg zur skillbasierten
Organisation

Wir haben uns daran gewöhnt, Arbeit in Jobs zu denken. Zwar wird das in den meisten Unternehmen so bleiben, angesichts der sich rasch wandelnden Arbeitswelt verliert die Kategorie „Job“ in der Praxis künftig aber an Relevanz. Die Zukunft gehört den skillbasierten Organisationen.
Der Job ist die Brille, durch die wir auf alle personalrelevanten Entscheidungen schauen: Personalbedarf, Rekrutierungen, Karrieren, Gehalt, die meisten Personalentwicklungsvorhaben oder Berechtigungssysteme. Unsere Organisationen sind in einem Ausmaß rund um Jobs gebaut, dass es schwerfällt, Unternehmen und HR ohne Jobs auch nur zu denken. Das wird in den meisten Unternehmen auch so bleiben. Allerdings gerät der „Job“ als definierendes Element unter Druck und verliert in der Praxis an Relevanz, wie auch Daten unserer Studie „Skills Based Organization“ aus dem Jahr 2022 zeigen: Demnach nimmt ein Großteil der Mitarbeitenden bereits jetzt Aufgaben außerhalb ihrer aktuellen Stellenbeschreibung wahr, bei 63 Prozent liegt sogar der Fokus der Arbeit auf Team- und Projektarbeit, die nicht in ihrer aktuellen Stellenbeschreibung enthalten ist. Nur rund ein Viertel der Befragten sind der Meinung, dass sie die gleichen Tätigkeiten ausführen wie andere in der Organisation mit dem gleichen Job. Und nur noch 19 Prozent der Top-Führungskräfte sowie 23 Prozent der Mitarbeitenden sehen in klassischen Jobs die beste Möglichkeit, Arbeit zu strukturieren.
Auch die befragten Führungskräfte (aus dem Business und aus HR) unserer Studie „Human Capital Trends 2023" haben das Thema auf ihrer Agenda: 93 Prozent sehen die Überwindung des Denkens in Jobs als wichtig oder sehr wichtig für den Erfolg ihrer Organisation an. Die Diskrepanz: Nur 20 Prozent fühlen sich auf diese Aufgabe angemessen vorbereitet.
Elemente der skillbasierten Organisation
Doch woher kommt dieses Bedürfnis, Arbeit neu zu denken, überhaupt?
Zum einen verändern sich in den Unternehmen die Aufgaben durch die allseits bekannten Megatrends und Transformationen wie Digitalisierung oder Nachhaltigkeit. Daher braucht es ähnliche Skills an unterschiedlichsten Stellen in Unternehmen. Gleichzeitig benötigen Unternehmen auch bestehende Skills „in völlig neuer Zusammensetzung“ und nicht mehr ausschließlich in den typischen Jobs, die wir alle im Kopf haben.
Zum anderen sind die Möglichkeiten, diese Aufgaben zu besetzen, vielfältiger geworden: Rekrutieren, Entwickeln, Umschulen, aber auch Automatisierung, der Einsatz von Contractors, Gigworkern und externen Dienstleistern stellen mittlerweile nützliche Alternativen dar. Einige davon gibt es schon lange, allerdings haben sie erst in den letzten Jahren an Verbreitung gewonnen – auch durch die Knappheit in vielen Arbeitsmärkten.
Um diese Veränderungen gut bewältigen und die daraus entstehenden Chancen nutzen zu können, kommt die skillbasierte Organisation ins Spiel: Skills ermöglichen es, Aufgaben und Mitarbeitende flexibler und dynamischer zusammenzubringen, als „Jobs“ dies erlauben. Anhand der folgenden drei Fragestellungen können sich Unternehmen stärker nach Skills ausrichten:
1. Welche Skills brauchen wir, um unsere Ziele zu erreichen?
Das erste Element ist dabei, Arbeit nicht sofort in Aufgaben und Verantwortungen – also einen Job – zu übersetzen, sondern sich zu fragen: Was sind unsere erwünschten Ergebnisse? Welche Skills und Fähigkeiten brauchen wir im Team in welchen Quantitäten, um diese Ergebnisse zu erreichen? Auf diese Weise lässt sich der Personalbedarf viel flexibler und zielgerichteter befriedigen. In der Praxis wird dieser Ansatz auch immer häufiger umgesetzt.
So benötigte etwa ein Telekom-Unternehmen Mitarbeitende im Bereich maschinelles Lernen. Die Suche nach Kandidatinnen und Kandidaten mit entsprechender Ausbildung und Erfahrung verlief aber enttäuschend. Infolgedessen analysierte das Unternehmen Tausende Profile von Menschen, die sich als Expertinnen und Experten im Bereich maschinelles Lernen bezeichnen, um die Kombination an Skills, Vorerfahrungen und Laufbahnen zu verstehen. Genau nach diesen Kombinationen hat das Unternehmen dann gesucht – und konnte den potenziellen Bewerberpool mehr als verdreifachen. Sobald die neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Bord waren, entwickelten sie rasch über Lernangebote die spezifischen Skills für maschinelles Lernen.
Ein anderes Beispiel kommt aus einem großen internen Payrollbereich, für den ein Unternehmen zahlreiche Pensionierungen nachbesetzen musste. Das Problem: Der Beruf des Lohnverrechners ist seit Jahren ein Mangelberuf, der Arbeitsmarkt damit leergefegt. Trotzdem führen die Lohnverrechnerinnen und Lohnverrechner in besagtem Unternehmen zu mehr als der Hälfte ihrer Arbeitszeit Tätigkeiten aus, für die keine spezifische Berufsausbildung oder Prüfung notwendig ist. Daher setzte das Unternehmen für genau diese Tätigkeiten geringer qualifizierte Mitarbeitende ein, automatisierte parallel die Prozesse und nutzte zusätzlich externe Dienstleister, um die Arbeitsspitzen abzufedern. So ließ sich der Bedarf an geprüften Lohnverrechnerinnen und Lohnverrechnern auf weniger als die Hälfte reduzieren.
2. Welche Skills haben die Mitarbeitenden?
Der zweite Schlüssel liegt darin, Mitarbeitende nicht mehr nur durch die klassische Jobbrille und somit als Stelleninhaber zu sehen. Dies bringt nämlich zwei wesentliche Einschränkungen mit sich:
Zum einen besitzen Individuen zahlreiche Skills, die nichts mit dem aktuellen Job zu tun haben, sondern aus einem früheren Job oder dem Privatleben stammen. Auf der anderen Seite besitzen viele Individuen schlicht nicht alle Skills, die in der Jobbeschreibung stehen. Manche müssen erst in den Job hineinwachsen, da ihre Besetzung ein Kompromiss war. In anderen Fällen kompensiert das Team die Defizite einzelner Kolleginnen und Kollegen. Zuweilen hat sich der Job, den Menschen seit Langem wahrnehmen, über die Jahre verändert, aber die Personen nicht mit ihm.
3. Wie können wir Recruiting und Personalentwicklung an relevanten Skills ausrichten?
Mit dem dritten Puzzlestein bringt das Unternehmen die beiden ersten Elemente – Skillbedarf und Skills der Mitarbeitenden –
zusammen. Dafür müssen die Verantwortlichen Entscheidungen auf Basis von Skills treffen und die Prozesse daran ausrichten. Das Staffing von Projekten oder die Besetzung von dauerhaften Rollen liegen hier nahe. Doch auch im Recruiting liegen Chancen, etwa wenn das Unternehmen Kampagnen für bestimmte Skills fährt, die dann in unterschiedlichen Bereichen der Organisation landen können. Gerade in Arbeitsmärkten, die für das Unternehmen neu sind, kann dieser Ansatz erfolgsversprechender sein als das Ausschreiben einzelner Jobs. In weiterer Folge können Organisationen dann Lernangebote oder Karrierewege rund um Skills bauen und die Vergütungsmodelle mit skillbasierten Elementen ergänzen.
Der Weg zur skillbasierten Organisation
Daraus ergibt sich, dass Unternehmen, die sich auf den Weg zur skillbasierten Organisation machen, die folgenden Voraussetzungen schaffen sollten:
- Das Unternehmen kennt den (qualitativen und quantitativen) Bedarf an Skills.
- Das Unternehmen kennt die Skills der eigenen Mitarbeiter.
- Es gibt (technologieunterstützte) Prozesse, um diese beiden Seiten zusammenzubringen.
Notwendig ist auch eine gemeinsame Sprache und ein „Framework“ für Skills. Momentan ist einer der größten praktischen Hinderungsgründe, dass gleiche Skills unterschiedlich benannt werden und dadurch sowohl die Kommunikation zwischen HR und dem Business als auch das Nutzen von Synergien unnötig erschwert werden. Eine gemeinsame Taxonomie und einheitliche Erfassungsmöglichkeit kann da eine große Hilfe sein. Nur 10 Prozent der befragten HR-Führungskräfte trauen ihrer Organisation zu, im Moment Skills effektiv erfassen und klassifizieren zu können.
Doch wie können Unternehmen beginnen? Die gute Nachricht: Es ist nicht notwendig, die ganze Organisation auf den Kopf zu stellen. Nur sehr wenige Firmen werden kurzfristig Jobs komplett abschaffen, dafür sind diese zu sehr in alle Abläufe eingewebt. Vielmehr eignet sich das Thema sehr gut dafür, mit Bereichen zu starten, in denen es aktuell die größten Herausforderungen gibt:
- In einer HR-Funktion, die besonders unter Druck steht, zum Beispiel im Recruiting oder der Entwicklung von Talenten.
- In einem Unternehmensbereich, der gerade eine Transformation vieler Jobs durchläuft und sich neue Arbeitsmärkte erschließen muss.
- Oder rund um ein bestimmtes Skill-cluster, das derzeit in verschiedenen Unternehmensbereichen dringend benötigt wird (zum Beispiel agiles Projekt-management oder Data Analytics). In diesem Fall können ein Skillhub beziehungsweise ein „Marktplatz der Talente“ die verschiedenen Bereiche etwa für Projektstaffings, Learning- und Recruiting-Initiativen vernetzen.
All das kann dabei helfen, das so dringend notwendige Skilldenken in Unternehmen zu etablieren und dann Zug um Zug weiterzuführen. Der Weg zur Skills Based Organization beginnt mit kleinen Schritten. Wo werden Sie starten?
Dieser Artikel stammt aus der Fachzeitschrift personal manager Ausgabe 3/23 mit dem Schwerpunktthema: Weiterbildung

// Autor: Julian Mauhart
Partner, Deloitte Österreich