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Hinunter in den Kaninchenbau: Candidate Centricity in Österreich

Individuelle, auf Kandidatinnen und Kandidaten maßgeschneiderte Prozesse sind in aller Munde –
nicht erst, seit die KI wertvolle Unterstützung für die Umsetzung liefert. Doch während es in der Theorie des HR-Wunderlandes nicht nur großartig, sondern auch ziemlich unkompliziert klingt, die eigene Candidate Journey aus der Sicht von Bewerbenden zu evaluieren, spricht die Praxis doch manchmal eine andere Sprache.

Das beginnt oftmals direkt beim Eingang in den Kaninchenbau, bevor der Korridor der Türen überhaupt erreicht ist. Ich erinnere mich noch gut an den Austausch mit einem HR-Chef, der mit seinem Team eine verbreitete Herausforderung zu meistern hatte: Viele Führungskräfte im Unternehmen hatten sehr strikte Vorstellungen, was die Qualifikation ihrer Wunschmitarbeitenden anbelangte. Die richtige Ausbildung inklusive entsprechender Noten war absolute Grundvoraussetzung. Um im Sinne eines agileren Recruiting-Zugangs auch unkonventionelleren Talenten eine Chance einzuräumen, gelang dem HR-Team in zähen Verhandlungen mit der Linie ein großer Durchbruch: Vor jede Bewerbung wurde ein Online-Assessment-Center geschaltet, sodass den Führungskräften mit den klassischen Bewerbungsunterlagen auch die Ergebnisse dieser praktischen Tests vorgelegt werden konnten. Große Erleichterung machte sich breit, ab jetzt würde alles besser.

Doch ganz so einfach war es dann doch nicht. Denn im Eifer des Erfolgs hatte niemand daran gedacht, die Online-ACs aus Sicht der Bewerbenden zu betrachten, denen diese Vorgehensweise helfen sollte. Für diese präsentierte sich der neue Prozess wie folgt: Um ihre Bewerbungsunterlagen einreichen zu können, mussten sie jetzt eine Stunde lang Aufgaben absolvieren, die nicht direkt mit dem gewünschten Job zu tun hatten. Statt dadurch mehr über die Aufgaben der Position zu erfahren, waren sie mit Postkorb-Übungen und Kopfrechnen beschäftigt. Falls sie sich auf mehrere Stellen bewerben wollten, mussten sie das AC mehrmals durchlaufen. Sie erhielten keine Auswertung, kein Feedback zu ihrem Ergebnis. Und, allem voran: Sie hatten keine Ahnung, dass die ACs im Grunde FÜR SIE installiert worden waren. Dass das HR-Team sich richtig für sie ins Zeug gelegt hatte. Das hatte ihnen nämlich niemand gesagt. Untergegangen im Daily Business des Projektmanagements.

Zaubermittel klare Kommunikation

Das Beispiel zeigt: Viele Probleme in der Candidate Journey ließen sich durch klare Kommunikation abmildern. Wenn etwa schon vor dem Einstieg ins Bewerbungsformular deutlich ist, welche Unterlagen später in welcher Aufbereitung – Dateiformat, maximale Dateigröße, als Sammeldokument oder einzeln – hochgeladen werden sollen. Das vermittelt Bewerbenden zum einen Sicherheit, gerade wenn es sich um weniger onlineaffine Zielgruppen handelt. Zum anderen lässt sich so auch die Arbeitgebermarke stärken. Wer kennt es nicht: Man gibt sich viel Mühe, alle gewünschten Formularfelder zu befüllen, sich selbst im besten Licht zu präsentieren, um den Wunschjob zu ergattern – und dann erscheint plötzlich die Fehlermeldung „Zeugnisdatei zu groß”. Hektisch wird ein Programm zum Verkleinern des Dokuments gesucht. Nach drei missglückten Versuchen ist es endlich geschafft, es geht zurück zum Formular, wo es letztlich heißt „Zeitüberschreitung, leider”. Sämtliche Eingaben gelöscht, zurück zum Start. Im besten Fall entsteht so Unmut, ein negativer Beigeschmack, der dem Unternehmen länger anhaften bleibt. Im schlimmsten Fall wird die Bewerbung erst gar nicht eingereicht.

Das klingt vielleicht banal. Hat doch ohnehin schon jedes Unternehmen im Griff. Können wir uns jetzt bitte wieder mit KI beschäftigen? Das macht doch viel mehr Spaß! Ja, zugegeben, da ist etwas Wahres dran. Aber für die Kandidatinnen und Kandidaten ist es nun einmal viel entscheidender, wie unkompliziert sie ihre Unterlagen einreichen können – oder eben nicht. Die aktuelle BEST-RECRUITERS-Studie 2023/24 unter insgesamt 570 der größten österreichischen Arbeitgeber nach Umsatz und Mitarbeiterzahl zeigt: Das eben beschriebene Beispiel ist keinesfalls ein Hirngespinst, sondern bei einem Fünftel der Unternehmen so oder in ähnlicher Form erlebte Realität. Und nicht nur das. Nach wie vor beinhalten in mobilen Bewerbungsprozessen vier von zehn Formularen mehr als 20 Felder. 40 Prozent davon sogar mehr als 25 Felder, die per Smartphone befüllt werden sollen – mit Informationen, die oft im Lebenslauf enthalten oder an dieser Stelle im Auswahlprozess noch gar nicht nötig sind.

Formularfelder in mobilen Bewerbungformularen

Abbildung 1: Anzahl der Formularfelder in mobilen Bewerbungsformularen in Österreich
(Quelle: BESTRECRUTERS AUT 2023/24)

Sich die Technik zunutze machen

Die Technik bietet hilfreiche Werkzeuge, die zumindest die Eingabe erleichtern. Zum Beispiel die Implementierung dynamischer Textfelder, die je nach Inhalt das passende Tastaturlayout ausspielen. Wenn also eine Telefonnummer eingetragen werden soll, erscheinen automatisiert Zahlen und passende Sonderzeichen wie das Pluszeichen. Dieses kleine Service mit potenziell großer Wirkung sieht derzeit gerade ein Viertel der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber vor. Kein Zweifel: Nachträglich befragt, würden Kandidatinnen und Kandidaten bestimmt nicht dieses Feature als speziell positiv hervorheben, könnten sich in vielen Fällen vermutlich nicht einmal daran erinnern. Doch was bleibt, ist der unbewusste Eindruck eines professionellen Prozesses, der wiederum auf Arbeitgeber- und Unternehmensmarke ausstrahlt.

Bewusster wahrgenommen wird wohl, ob die Kandidatinnen und Kandidaten für die Bewerbungsübermittlung einen Account anlegen müssen oder nicht. Grundsätzlich kann ein Account Vorteile bieten, zum Beispiel wenn gezieltes Interesse an einem speziellen Unternehmen besteht oder man sich auf mehrere Stellen parallel bewerben möchte. Allerdings sind nur zwei von zehn Accounts auch tatsächlich optional gehalten, alle anderen müssen verpflichtend aktiviert werden. Dahinter kann eine systemseitige Vorgabe stehen oder die Überlegung, einen Talentepool aufzubauen, der bei Bedarf nach passenden Talenten durchsucht werden kann. Allerdings stellt sich bei einem obligaten Account die Frage, wer nach kurzer Zeit tatsächlich noch wechselwillig ist – und wer sich genau für eine einzige Position interessiert und das Unternehmen nach der Absage abgehakt hat. Positiv zu vermerken ist in jedem Fall, dass der Anteil optionaler Accounts gegenüber dem Vorjahr um etwa zehn Prozentpunkte gestiegen ist, was für einen geschärften Fokus auf die Thematik spricht.

Wie flexibel ist eigentlich flexibel?

Ebenfalls im Fokus, wenn es um bewerberzentrierte Auswahlprozesse geht, steht derzeit die Flexibilisierung der Arbeit. Das betrifft sowohl den anhaltenden Wunsch unter Kandidatinnen und Kandidaten als auch die Präsenz innerhalb der HR-Bubble. In der praktischen Umsetzung schlägt sich das zum Teil nieder, wie die aktuelle Website-Analyse der BEST-RECRUITERS-Studie verdeutlicht. Ihr zufolge stellen heuer mehr Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber die prinzipielle Möglichkeit in Aussicht, außerhalb des Büros zu arbeiten. Es handelt sich dabei um rund die Hälfte der Stichprobe, das entspricht etwa zehn Prozentpunkten mehr als im letzten Jahr. Allerdings lässt das Thema Remote Working auch großen Interpretationsspielraum offen. Ob theoretisch bis zu 100 Prozent Homeoffice möglich wären oder maximal einmal pro Monat von zu Hause gearbeitet werden kann – wobei dies mindestens vier Wochen im Voraus freigegeben werden muss –, bleibt vielfach der Fantasie der Kandidatinnen und Kandidaten überlassen.

Zweifelsohne kann das Aufsetzen allgemeingültiger Homeoffice-Konzepte unternehmensseitig einem Croquet-Spiel mit der Herzkönigin gleichen. Administrierbar sollen sie sein, den rechtlichen Rahmenbedingungen entsprechen und außerdem bitte nicht zu Diskussionen in der Belegschaft führen, die sich ungleich behandelt fühlt. Das beginnt schon bei KMU und setzt sich exponentiell bei Konzernen fort. Wer den Igel schon erfolgreich mit dem Flamingo durchs Tor bugsiert hat, sollte die Chance nutzen, das erarbeitete Konzept nicht nur intern zu leben, sondern auch nach außen zu kommunizieren. Das fördert zum einen die Selbstselektion der Bewerbenden. Zum anderen zahlt dieses Vorgehen auf die Wahrnehmung als transparenter Arbeitgeber ein. Denn: Nur 4 Prozent der österreichischen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber stellen Details ihres Homeoffice-Konzepts auf der Karrierewebsite vor.

Arbeitsbedingungen in Online-Stellenanzeigen

Abbildung 2: Arbeitsbedingungen in Stellenanzeigen
(Quelle: BEST RECRUITERS AUT 2023/24)

Die besten Geschichten schreibt das Leben.

„Das war zu erwarten“, könnte man meinen. Viele Organisationen gehen schließlich heutzutage ganz individuell auf ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein und erarbeiten für jeden Menschen, jedes Team oder zumindest jede Abteilung passgenaue Regelungen. Umso mehr lohnt es sich, das nach außen zu kommunizieren. Und zwar nicht nur als allgemeines Statement – was als reines Lippenbekenntnis interpretiert werden könnte –, sondern exemplarisch unterfüttert. Die Storytelling-Toolbox liefert dazu die idealen Mittel. Indem etwa Menschen erzählen, wie sie von der Flexibilität ihres Arbeitgebers profitieren, welche Lösung für ihr individuelles Problem gefunden wurde. Das sorgt neben einer emotionalen Aufladung – wer liebt schließlich keine guten Geschichten mit Happy End? – auch für ein Alleinstellungsmerkmal. Obwohl Storytelling im Rahmen der Studie recht breit gefasst wurde, erzählen gerade 2 Prozent von Österreichs Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern Geschichten ihrer Belegschaft rund ums Trendthema Homeoffice. Ähnliches gilt übrigens für flexible Arbeitszeitmodelle (4 Prozent), Diversity, Equity, Inclusion (5 Prozent) und Familienfreundlichkeit (7 Prozent).

Mehr noch als die Karrierewebsite liefern Stellenanzeigen den idealen Touchpoint für die Kommunikation konkreter Arbeitsbedingungen. Zwar erhalten Bewerbende 2023/24 bereits wesentlich mehr Informationen dazu als noch vor einigen Jahren, nichtsdestotrotz sind diese nach wie vor eher allgemein gehalten. 45 Prozent der Inserate erwähnen etwa grundsätzlich flexible Arbeitszeiten, 37 Prozent der Anzeigen thematisieren die theoretische Möglichkeit zu ortsunabhängigem Arbeiten – jeweils zumeist ohne weitere Details, etwa zu Kernzeiten oder dem Homeoffice-Prozentsatz. Freilich ist eine derartige Flexibilität nicht bei allen Positionen überhaupt machbar, beispielsweise bei Schichtdienstmodellen. Doch auch hier erfahren Kandidatinnen und Kandidaten nicht mehr über die vorgesehenen Rahmenbedingungen, die nicht umsonst ein zentrales Knock-out-Kriterium in der Jobauswahl darstellen. In gerade 16 Prozent der Fälle wird eine genaue Anzahl der Wochenarbeitsstunden genannt. 3 Prozent führen gewünschte Dienstzeiten an, nur 1 Prozent bieten Musterdienstpläne zur optimalen Orientierung.

Ähnlich wenig individuell abgeholt werden Bewerbende, wenn es darum geht, passende Stellen überhaupt erst zu finden. Acht von zehn Unternehmen bieten zwar prinzipiell Filter in ihrem Stellenmarkt an, diese betreffen allerdings überwiegend den Funktionsbereich, den Arbeitsort oder auch die Business Unit. Bewerberorientierte Filter – etwa nach Homeoffice, Wochenstunden-Range oder konkreten Skills – finden sich hingegen bei jeweils 5 bis 6 Prozent der Arbeitgeber.

Ausgehend von den ausgewählten Beispielen sprechen also schon die objektivierten Studienergebnisse dafür, dass aktuelle Bewerbungsprozesse noch viele Chancen bereithalten, Talenten ein Gefühl der Individualität und der Wertschätzung ihrer Bedürfnisse zu vermitteln – mit oftmals wenig aufwendigen Mitteln.

// Über die Studie
BEST RECRUITERS untersucht seit 2010 jährlich die Recruitingqualität von über 1.200 der umsatz- und mitarbeiterstärksten Arbeitgeber in der DACH-Region anhand von rund 330 wissenschaftlichen Kriterien entlang der Candidate Journey.

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Agnes Koller

Studienleiterin bei BEST RECRUITERS | www.bestrecruiters.eu
Agnes Koller ist die Studienleiterin von BEST RECRUITERS. BEST RECRUITERS untersucht regelmäßig die Recruiting-Qualität der insgesamt 1.300 Top-Arbeitgeber in Deutschland (seit 2011), Österreich (seit 2010) und der Schweiz und Liechtenstein (seit 2013). Zielsetzung der jährlich durchgeführten wissenschaftlichen Studien ist es, die Ansprache von und den Umgang mit Bewerberinnen und Bewerbern im deutschsprachigen Raum konzeptionell und operativ zu professionalisieren.