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Back to work? Or create the New Normal

New Normal
© Olga Serjantu | Unsplash

Corona beherrscht seit 2020 unser Arbeits- und Privatleben und hat in kürzester Zeit vieles (un)möglich gemacht. Die Impfquote steigt und die Hoffnung wächst, dass wir unser gewohntes Leben zurückgewinnen. Im Privaten genießen wir gerade, wieder Freunde einzuladen, essen zu gehen und endlich wieder groß zu feiern. Im Beruflichen stellt sich die Frage: Wollen wir es wirklich wieder wie früher? Back to normal? Oder ist jetzt die Zeit, zu einem „New“ zurückzukehren? Was lernen Teams und Unternehmen aus der Krise und wie nutzen sie das Momentum, um jetzt Neues zu gestalten?

Die Pandemie ist eine Lehrmeisterin für Veränderungs- und Ambiguitätstoleranz. Wer bisher darunter nur Zungenbrecher verstanden hat, der merkte in den vergangenen Monaten, dass jeder Einzelne und jede Einzelne sich verändern musste und dass es für viele der Pandemieprobleme keine einfache Lösung oder eindeutige Wahrheit gab.

Um die Verbreitung des Virus einzudämmen, mussten wir unsere Routinen unterbrechen und unser Verhalten verändern. Wir tragen Masken, gehen auf Distanz und blieben zu Hause. Wer 30 Jahre jeden Morgen denselben Weg ins Büro spaziert ist, ging nach dem Frühstück plötzlich ins Arbeitszimmer oder blieb mit Laptop am Frühstückstisch sitzen. Wer morgens stets sorgfältig die Business-Garderobe ausgewählt hat, fand es nun komisch, so schick ins Arbeitszimmer zu gehen. Vorgesetzte, die Homeoffice nie erlaubt hätten, mussten zusehen, wie ihre Mitarbeitenden von zu Hause aus produktiv waren.

Die gute Seite der Medaille
Aktuelle Studien wie der Microsoft Work Trend Index, die Fraunhofer Homeoffice-Studie oder die Lockdown-Studie der Beratergruppe Neuwaldegg (siehe Webtipps) zeigen, dass Homeoffice funktioniert. Es hat sich als gleichwertiger Arbeitsplatz für Wissensarbeitende etabliert. Mitarbeitende und Teams zeigen hohe Performance, auch wenn sie nicht im selben Büro sitzen. Was vor Corona schnell als nicht praktikabel ausgeschlossen wurde, geht plötzlich – mit Erfolg. Als Unternehmensberatende erleben wir, dass die Transformationsbegleitung einer Organisation mit Niederlassungen in 25 Ländern remote gut funktioniert – ohne auch nur einmal in ein Flugzeug oder ein Hotel einzuchecken. Viele Angestellte genießen, dass die tägliche Fahrzeit ins Büro wegfällt, und nutzen das für Sport, Familie, Beziehung oder mehr Arbeit.

Die Zusammenarbeit ist persönlicher geworden – die Katze läuft durchs Bild, das Kind der Vorständin platzt in die Townhall und winkt den 120 Teilnehmenden. Man lernt die Einrichtung der Kolleginnen und Kollegen kennen. Der virtuelle Meetingraum mischt auch die Karten der Rang- und Statusspiele neu. Egal ob CEO oder Praktikantin – im Meeting haben alle eine gleich große Kachel. Nicht die Ranghöchsten, sondern die digital Affinen steuern die Kommunikation. In der digitalen Umgebung sind alle gleich und alle machen die gleichen Fehler – auch nach einem Jahr ist „You are on mute!“ noch der Running Gag. Teams lernen technische Fehlertoleranz und gehen in den Ausprobiermodus.

Die vergangenen Monate haben unsere Arbeitsplätze und unsere Zusammenarbeit unfreiwillig revolutioniert. Sie haben die Kommunikation in Teams und Organisationen in Windeseile digitalisiert. Angestellte haben enorm an Freiheitsgraden gewonnen. Distanzen wurden unwichtiger, weil man nicht unbedingt von Hamburg nach Zürich ziehen muss, um dort einen neuen Job zu beginnen.

Ein differenzierter Blick für den Bedarf an Meetings ist entstanden: Wo brauchen wir Präsenz? Was geht virtuell? Was können wir allein und ohne Abstimmung entscheiden? In vielen Teams hat sich gezeigt, dass Verantwortung noch mehr verteilt werden kann, dass Mitarbeitende selbstbestimmter arbeiten können. Versteckte Talente und Ressourcen sind sichtbar geworden und Führungskräfte mussten sich damit auseinandersetzen, wie sie ihre Führungsrolle verändern, wenn Mitarbeitende an Autonomie gewinnen und dadurch sogar die Performance steigt. Sie waren gefordert, sich in Vertrauen zu üben und von der direktiven Führung mehr in Richtung Kontextsteuerung zu gehen. Ihre Aufgabe war es, Rahmen und Ressourcen bereitzustellen und für Freiräume zu sorgen.

Kommen nach Corona alle zurück?
Vor dem Hintergrund dieser positiven Erfahrungen, fragen sich aktuell viele, ob sich die Fahrt ins Büro wirklich lohnt. Im Lockdown war das Homeoffice unverhandelbar. Denn das Risiko, die eigene Gesundheit im Büro zu riskieren, war groß. Der Ruf „Kommt zurück ins Office", der nun ertönt, ist dagegen nicht alternativlos und die Begründungen laufen Gefahr, zu verhallen, weil sich gezeigt hat, dass die Arbeit im Homeoffice funktioniert. Laut der Umfragen haben Mitarbeitende den klaren Wunsch nach hoher Flexibilität in Zukunft.

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Back to the New
Auch wenn diese Kehrseite der virtuellen Kollaboration mit dem Eindämmen der Pandemie nachlässt, wird vieles virtuell bleiben. Ein „back to normal“ wird wohl niemand erleben. Allein am Beispiel Büro zeigt sich, dass der Arbeitsplatz in Zukunft kein einzelner Ort mehr sein wird, sondern ein Mosaik aus verschiedenen Orten und Erfahrungen, die Funktionalität und Wohlbefinden verbinden sollen. Daher empfehlen wir Führungskräften und Teams diesen Moment zu nutzen und ihr „New Normal“ bewusst zu kreieren.

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Die Kehrseite der neuen Arbeitsflexibilität
Aber ist der Beweis wirklich erbracht? Was ist die Kehrseite der neuen Arbeitsflexibilität? Ein Blick in Umfragen zeigt, dass die letzten Monate „hohe Kosten“ verursacht haben, die nicht sofort sichtbar sind. Soziale Kontakte fehlen, der informelle oder spontane fachliche Austausch in der Kaffeeküche geht vielen ab. Die Fraunhofer-Studie gibt an, dass 85 Prozent der Befragten den persönlichen Austausch und 66 Prozent den fachlichen Austausch vermissen. Einer unserer Kunden hat uns überrascht, als er zu Beginn der Pandemie das beliebte „Lunch-Roulette“ ausgesetzt hat. In dem Konzern konnte man sich Lunch-Partnerinnen und -Partner zulosen lassen – für Inspiration und Vernetzung. Gerade im Homeoffice wäre der virtuelle Lunch eine gute Möglichkeit, abteilungsübergreifend in Kontakt zu bleiben. Unter dem Verlust der informellen Kontakte durchs Homeoffice leiden vor allem die Verbindungen, die nicht im eigenen Team, Projekt oder in der Linie sind. Virtuell läuft man sich eben nicht einfach über den Weg. Die Microsoft-Studie fasst treffend zusammen: „Teams are more siloed in a digital work world.“

Mit Tools wie Zoom oder Teams funktionieren Aufgabenbewältigung, Zusammenarbeit und Informationsaustausch. Aber gemeinsame Kreativität und Ideenentwicklung („Flow-Erlebnis”) klappen remote lange nicht so gut wie im physischen Raum. Professor Jürgen Weibler von der Fernuniversität Hagen forscht zu dieser Verlusterfahrung. Was das Soziale ausmacht, lässt sich digital nicht produzieren: Körpersprache funktioniert bedingt, der Geruch fehlt, Resonanz auf Körper, Bewegung oder Gestik gibt es nicht und darunter leidet Kollaboration, vor allem wenn es um das Entwickeln von Neuem geht.

Das Ergebnis langer und häufiger Online-Meetings zeigt sich in der „Zoom Fatigue“. Durch die Verzögerung der Sprache im Millisekunden-Bereich und durch die ungewohnte Situation, sich ständig selbst zu sehen, ist unser Gehirn besonders gefordert. Gleichzeitig zeigt die Auswertung von Microsoft-Nutzerdaten zwischen Februar 2020 und Februar 2021, dass die Online-Zeit sich um den Faktor 2,5 mehr als verdoppelt hat. Die durchschnittliche Meeting-Dauer ist von 35 auf 45 Minuten gestiegen. Ein Microsoft-Teams-Nutzer versendet 45 Prozent mehr Chats pro Woche und 42 Prozent mehr Chats pro Person nach Feierabend.

Der Microsoft Work Trend Index zeigt auch, dass sich mehr als die Hälfte der Angestellten überarbeitet fühlen, 39 Prozent erleben Erschöpfung. Besonders die 18- bis 25-jährigen Berufsanfängerinnen und Berufsanfänger, Singles und Menschen im direkten Kontakt mit Kundinnen und Kunden leiden unter dem Homeoffice. 41 Prozent der Angestellten spielen mit dem Gedanken, ihren Job zu wechseln. Die Zugehörigkeit und Bindung zum Team oder zum Unternehmen gehen verloren – es scheint egal, für wen man von zu Hause aus arbeitet.

Führungskräfte kennen die Herausforderungen aus diesen Monaten, das Onboarding nur remote durchzuführen oder Teams neu zusammensetzen, ausschließlich via Bildschirm. Es existieren noch keine belastbaren Beziehungen und es gibt wenig Möglichkeit, dieses Beziehungsgeflecht im neuen Team zu entwickeln.

Team-Canvas nutzen
Das Team-Canvas (siehe Grafik) als Modell zur Organisationsentwicklung leitet den Fokus auf die zentralen Fragen, die jetzt anstehen. Daher brauchen Sie nur noch Ihr Team und es kann losgehen.

  1. Fokus wählen: Was schauen wir uns an? Das gesamte Unternehmen, einen Bereich, ein Team?
  2. Frage schärfen: Worauf brauchen wir Antworten? Wo brauchen wir ein „New Normal“? (Zum Beispiel Meetings, Ausrichtung, Strukturen, Identität, Führung oder Entscheidungen)
  3. Ziel setzen: Was wäre ein gutes Ergebnis dieser Session?
Guide New Normal

Dann gehen Sie durch die Ecken des Canvas.Beginnen Sie dort, wo der Schuh am meisten drückt, oder folgen Sie unserer Reihenfolge – beides ist möglich. Das Dreieck ist ein systemtheoretisches Modell für die Entscheidungsprämissen von Organisationen. Organisationen bestehen aus

  • Entscheidungsprogrammen (zum Bei-spiel Ziele, Vision, Purpose, KPIs und Strategien),
  • Kommunikationswegen (zum Beispiel Struktur, Prozesse und Meetingformate),
  • Personal (Wer arbeitet hier, mit welchen Kompetenzen? Wie wird rekrutiert, bezahlt, weitergebildet?),
  • einer spezifischen Kultur (Normen, Werte, Glaubenssätze, die implizit Verhalten steuern), und
  • sie koppeln sich auf ihre Art mit relevanten Umwelten (Kundinnen, Partnerinnen, Ecosystems).

Wie gelingt es Organisationen nun, Transformationen auf diesen verschiedenen Ebenen anzustoßen?

1. Entscheidungsprogramme
Formulieren Sie gemeinsam den „Arbeits-Purpose“ des Teams: Welchen Beitrag leisten wir für wen, um damit welche Wirkung zu erzielen? Nutzen Sie dabei zum Beispiel die Ikigai-Methode (Webtipps). Keine Sorge – er muss nicht perfekt sein! Schon ein Entwurf kann Orientierung geben. Nutzen Sie ihn als Leitstern für Entscheidungen, wenn es um das New Normal geht: Was zahlt auf unseren Purpose ein? Damit richten Sie die Entscheidungen am Zweck der Organisation aus und vermeiden die Orientierung an Befindlichkeiten oder persönlichen Vorlieben.

2. Kommunikationswege
Mit dem Purpose können Sie auch Ihre Struktur einem Review unterziehen: Inwieweit dient unsere Aufstellung und Zusammenarbeit dem, was wir beitragen wollen? Noch genauer schaffen Sie das mit einer Team-Retrospektive (Webtipps). Werten Sie Ihre Kommunikation und Zusammenarbeit der vergangenen zwölf Monate aus: Was waren unsere Stärken, Learnings, Pain Points und Potenziale? Wie haben wir den Kontakt zu anderen Bereichen und Stakeholdern gestaltet? Mit welcher Wirkung?

Übersetzen Sie die Ergebnisse in konkrete Schritte des „New Normal“: Was probieren wir aus? Was lassen wir los? Seien Sie streng mit Ihren Meetings: Worum geht es da jeweils (zum Beispiel kurze Synchronisation, operative Abstimmung, Aushandeln von Zuständigkeiten, Klären von Spielregeln, Konfliktlösung)? Wo braucht es wirklich Präsenz? Was geht virtuell? Wo reicht eine Einzelentscheidung ohne Abstimmung?

3. Personal
Alle Mitarbeitenden sollten die Möglichkeit bekommen, für sich zu hinterfragen: Wie haben sich meine Erwartungen an die Organisation geändert (zum Beispiel bezogen auf Arbeitsflexibilität oder Autonomie)? Wie will ich im New Normal arbeiten und was braucht es dafür? Im zweiten Schritt schauen Sie aus Sicht des Purpose und aus Sicht der Organisation – zum Beispiel mit einer Aufstellung (Webtipps): Welche Erwartungen hat die Organisation an die Teammitglieder im New Normal (zum Beispiel an deren Kompetenzen)?

Sammeln Sie diese Erwartungen und vergleichen Sie dann: Wie passen beide Seiten zusammen? Wo braucht es Zugeständnisse, was kann ausgehandelt werden? So entsteht ein neues Contracting zwischen Organisation und Personen.

4. Kultur
Sie kennen bestimmt das Eisbergmodell und wissen, dass Kultur nicht direkt veränderbar ist. Allerdings verändert sie sich mit, wenn ich an einer Seite des Dreiecks etwas bewege. Ich kann auch bewusst Impulse setzen, um Werte und Normen langsam weiterzuentwickeln. Im New Normal wird es spannend, mit dem Raum zu arbeiten. Wie gestalten wir unsere physischen und virtuellen Räume, um das zu stärken, was uns mit Blick auf den Purpose hilft? Setzen Sie sich im Team für ein Design Lab zusammen (Webtipps). Bilden sie zwei Gruppen – eine für den physischen und eine für den virtuellen Raum. Ihr Büro bekommt eine neue Funktion – hier trifft man sich nicht immer, sondern zu bestimmten Anlässen. Nutzen Sie diesen physischen Raum als Kulturelement. Wie gestalten wir ihn für unser New Normal? Welche Werte sollen hier sichtbar und spürbar werden? Wie werden hier Connection, Kreativität und Lernen unterstützt? Ihr virtueller Raum hat auch eine Wirkung. Was macht er mit Ihrer Kultur? Was können Sie bewusst gestalten, um zu stärken, was Ihnen kulturell wichtig ist (zum Beispiel Customized Virtuality und Meeting-Rituale)?

Worauf Sie sich freuen können: Ins New Normal kommen alle mit „Superkräften“ zurück. Kein Change-Training, kein VUCA-Programm hätte es geschafft, so viele Menschen gleichzeitig in Veränderungskompetenz zu schulen. Sie wissen ja, Veränderung lebt nicht vom Vorstellen, sondern vom Tun. Und bei all dem, was wir in den vergangenen Monaten anders machen mussten als gewohnt, kamen unsere neuronalen Vernetzungen so ordentlich in Bewegung, dass es uns von hier aus leichter fallen wird, so ein New Normal mit Neugier zu entwickeln.


Franziska Fink
© A. Chitzasan

// Autorin:

Franziska Fink
Partnerin, Beratergruppe Neuwaldegg

David M. Jeggle

// Autor:

David M. Jeggle
Principal, Beratergruppe Neuwaldegg

Dieser Artikel stammt aus der Fachzeitschrift personal manager Ausgabe 5/21 mit dem Schwerpunktthema: New Normal | Hybrides Arbeiten und Lernen

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